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Aufbau und Steuerung von Hygienekonzepten in Pandemiezeiten

Was wir aus den letzten Monaten lernen können und verbessern sollten

Die Corona Pandemie beschäftigt uns nun schon einige Monate. Nach dem flächendeckenden Lock-Down wurden an vielen Stellen die Infektionsschutzmaßnahmen gelockert, um eine gewisse Normalität herzustellen. Durch die getroffenen Maßnahmen und die hohe Compliance in der Bevölkerung hinsichtlich der Infektionsschutzmaßnahmen konnte die Ausbreitung des Coronavirus vorerst erfolgreich verlangsamt werden. Mit Beginn der Sommerzeit und den damit verbundenen Urlaubsreisen sowie vermehrten Freizeitaktivitäten sehen wir jedoch, wie die Einhaltung der Hygienemaßnahmen an vielen Stellen weniger wird. Gleichzeitig steigen auch die Infektionszahlen in Deutschland wieder deutlich an.


Dies wollen wir zum Anlass nehmen, um zu schauen, was man aus den Entwicklungen der letzten Monate lernen kann und wo Verbesserungspotenziale liegen. Insbesondere im Hinblick auf eine mögliche zweite Infektionswelle kann es sehr hilfreich sein, adäquate Maßnahmen schneller zu ergreifen, um einen erneuten Lock-Down zu vermeiden. Aus vergangenen Projekten wissen wir, dass erfolgreiche Infektionsprävention genauso wie Hygienekonzepte bestimmten Erfolgsfaktoren unterliegen, um zu funktionieren. Das Grundprinzip dieser Erkenntnisse, welche im Gesundheitswesen gewonnen wurden, kann auf andere Unternehmen oder die Gesellschaft übertragen werden. Grundsätzlich kann erst einmal festgestellt werden, dass die Prävention besser ist als im Nachgang durch Massentests oder App-Lösungen Infektionsketten identifizieren und unterbrechen zu müssen. Nichtsdestotrotz sind beide Bereiche in der aktuellen Pandemie essenzielle Bausteine eines Gesamtkonzepts.






Und hier sind wir auch bei einem wesentlichen Punkt angelangt. Hygiene und Infektionsschutz funktionieren immer nur als System. Dies kann man sehr gut am Beispiel eines Krankenhauses verdeutlichen. Auch wenn sich 99 Prozent aller Akteure an Infektionsschutzregeln halten, so reicht schon ein sehr kleiner Prozentsatz an Personen, die sich nicht an Regeln halten, um einen Ausbruch zu verursachen. Übertragen auf die aktuelle Situation bedeutet dies, dass, selbst wenn sich 90 Prozent aller Menschen an Hygieneregeln halten, diese im Zweifel aber mit infizierten Personen der anderen 10 Prozent in einem Kino, Restaurant oder Theater sitzen können. Auch wenn Politiker immer wieder betonen, dass sich die meisten Menschen an Hygieneregeln halten, so muss doch das System funktionieren, um die Infektionszahlen möglichst gering zu halten.


Erfolgreiche Hygienesysteme und wie diese funktionieren

Funktionierende Hygienekonzepte haben im Wesentlichen vier Erfolgsbausteine, die man sich in Teilen wie einen Evolutionsprozess vorstellen kann. Alle Bausteine sind hierbei zueinander interdependent. Gibt es Defizite bei einem Baustein, kann dies dazu führen, dass auch das System nicht richtig funktioniert. Um dies zu verdeutlichen, möchten wir zwei Beispiele geben:

  • In einem Restaurant mit Buffet möchten sich die Gäste gerne die Hände desinfizieren. Jedoch gibt es hierfür kein Desinfektionsmittel. Hier wäre zwar die Compliance hoch, aber die Infrastruktur nicht vorhanden.
  • Eine Person kauft sich ein Desinfektionsmittel im Drogeriemarkt und wendet dieses regelmäßig, aber mit schlechten Benetzungserfolgen, an. Das Mittel ist nicht gegen Coronaviren wirksam und beseitigt lediglich 99 Prozent aller Viren und Bakterien. In diesem Beispiel wäre zwar die Compliance hoch und ein Produkt verfügbar, allerdings weder das Wissen über das richtige Produkt vorhanden noch die Anwendung korrekt.


 



Wissen und Aufklärung als Grundlage
Dabei sind wir jetzt auch schon beim ersten Baustein „Wissen und Aufklärung“. Dieser bildet die Grundlage für ein funktionierendes Hygiene- oder Infektionsschutzkonzept. Unterschieden werden muss hierbei zwischen denjenigen, die Konzepte erstellen und implementieren, also die Rahmenwerke schaffen und denjenigen, die die entsprechenden Maßnahmen bzw. Regeln umsetzen sollen. In die erste Kategorie fallen z. B. verantwortliche Politiker und Unternehmensentscheider, die in erster Linie die wichtigsten Fakten und Informationen benötigen, wie und warum man ein Konzept/Rahmenwerk aufbauen muss bzw. kann. Dieser Baustein sollte z. B. Antworten auf folgende Fragen beinhalten:

  • Wieso ist es wichtig sich mit dem Thema Hygienekonzept und Infektionsprävention auseinander zu setzen?
  • Was muss ein Konzept beinhalten und wie baut man es auf?
  • Wie sollen Informationen bestmöglich an Bürger oder Mitarbeiter transportiert werden bzw. wie sollte man diese aufbereiten?
  • Wie können Konzepte flächendeckend implementiert und die Einhaltung der Konzepte sichergestellt werden?

Im Falle von Bürgern und Mitarbeitern geht es primär darum Basiswissen im Bereich der Mikrobiologie zu schaffen und darauf aufbauend die wichtigsten Hygieneregeln und Hygienetechniken zu lehren. Da es bislang keine akute Notwendigkeit hierfür gab, fehlten mit Beginn der Pandemie Schulungs- und Lehrmaterialen, die für einen landesweiten Einsatz z. B. in den Schulen oder Unternehmen geeignet waren. Folgendes sollte dieser Baustein beinhalten:

  • Die Welt der Keime für alle einfach erklärt. Z. B. wie verhalten sich Viren und Bakterien auf belebten und unbelebten Flächen?
  • Wie funktionieren Hygiene und Infektionsprävention im privaten Umfeld und am Arbeitsplatz?
  • Welche Produkte sollte man nutzen und wie wendet man diese an?
  • Wie funktionieren die wichtigsten Präventionsmaßnahmen und Hygienetechniken?
  • Wie kann man selbst Techniken üben und wo findet man entsprechendes Trainingsmaterial?




Aus vielen unserer Projekte zum Thema Hygiene u. A. im Gesundheitswesen oder im Büroumfeld wissen wir, dass der Baustein „Wissen und Aufklärung“ gerade in Deutschland stark unterschätzt wird. Wir glauben die wichtigsten Hygieneregeln und Maßnahmen sicher zu beherrschen und durchführen zu können, während Untersuchungen hier regelmäßig ein entgegengesetztes Bild zeigen. Ein gut dokumentiertes Beispiel möchten wir aus dem Gesundheitswesen geben. Nach Expertenschätzungen haben wir z. B. pro Jahr ca. 500.000 Infektionen durch Krankenhauskeime in Deutschland mit ungefähr 15.000 Toten. Etwa ein Drittel hiervon könnte sich durch bessere Hygiene verhindern lassen. Dabei muss man sagen, dass hier die Einhaltung von Hygieneregeln einen deutlich höheren Stellenwert hat als in anderen Bereichen der Gesellschaft.

Deshalb sehen wir gerade in den Bereichen „Wissen und Aufklärung“ in Deutschland auch in Bezug auf eine zweite Infektionswelle hohes Optimierungspotenzial. Dazu kommt ein weiterer sehr elementarer Punkt, den wir aus dem Bereich der Unternehmensführung kennen. Werden Maßnahmen, z. B. bei Restrukturierungen oder Kostenoptimierungsprogrammen, nicht ausreichend erklärt oder nicht verstanden, so kommt es häufig zu Widerständen. Nicht einheitliche Infektionsschutzregeln, unnötige Lockerungsdebatten und mangelnde Aufklärung haben auch in der aktuellen Pandemie zu Unsicherheiten und einer in Teilen der Bevölkerung ablehnenden Haltung hinsichtlich der Infektionsschutz- und Hygieneregeln geführt.


Standardisierung und Vereinfachung
Hier sind wir schon beim nächsten Punkt, der für ein funktionierendes Hygiene- und Infektionsschutzkonzept notwendig ist, nämlich „Standardisierung und Vereinfachung“. Konzepte müssen möglichst standardisiert sein und sehr einfach gehalten werden. Dies ist vor allem deswegen wichtig, um ein allgemeines Verständnis zu schaffen, die Etablierung von Routinen zu erleichtern und Konzepte flächendeckend implementieren und steuern zu können. Da wir in Deutschland keinen einheitlichen Wissensstand rund um Hygiene und Infektionsprävention haben, ist es wichtig möglichst vielen Menschen kurzfristig ein Verständnis rund um das Thema und die wichtigsten Maßnahmen zu vermitteln. Untersuchungen der letzten Monate haben immer wieder ergeben, dass viele Maßnahmen nicht verstanden werden, da diese in den Länderverordnungen zu kompliziert formuliert oder schlicht zu unübersichtlich gestaltet sind. Um einen nachhaltigen Lerneffekt auch für künftige Pandemien oder Krankheitsausbrüche, z. B. bei der jährlichen Grippewelle, zu erzielen und Hygienemaßnahmen dauerhaft zu implementieren, ist eine starke Vereinfachung und Standardisierung notwendig. Dies hat auch den Effekt, dass die Compliance steigt und Widerstände gegen die Maßnahmen minimiert werden. Die vom Bundesgesundheitsministerium publizierte AHA-Formel ist gut gemeint, kann aber aus verschiedenen Gründen so nicht funktionieren. Standardisierung ist zwar vorhanden und in vielen Fällen auch die Infrastruktur, jedoch gibt es Defizite bei Wissen, Routinen, Technik (z. B. Händedesinfektion und Händewaschung) und Compliance. Eine Ausnahme bei der Compliance stellen Masken dar. Diese werden von der überwiegenden Mehrheit der Menschen ordnungsgemäß getragen.


Der Aufbau einer Hygiene Infrastruktur
Als nächsten Baustein wollen wir auf das Thema Infrastruktur eingehen. Hiermit ist die Verfügbarkeit der Hygieneprodukte (z. B. Spendersysteme und Verbrauchsmittel) an den Orten, an denen sie benötigt werden, gemeint. Als Beispiele können hier der Desinfektionsmittelspender am Eingang des Supermarktes oder der Seifenspender im Waschraum einer Schule genannt werden. Im Rahmen eines Hygiene- oder Infektionsschutzkonzepts würde man an dieser Stelle Risikobereiche identifizieren, wie im Schaubild unten, und die entsprechende Infrastruktur schaffen. In diesem Punkt lassen sich in Deutschland die größten Verbesserungen erkennen. In Schulen wurde die Infrastruktur in vielen Fällen erneuert bzw. stark optimiert und in anderen Bereichen, wie z. B. an Flughäfen, Bahnhöfen oder Supermärkten neu geschaffen. Ob diese Entwicklung nachhaltig sein wird und was nach der Corona Pandemie bestehen bleibt, kann momentan noch niemand sagen. Während der Schweinegrippe gab es schon einmal eine starke Optimierung in diesem Bereich, welche nicht nachhaltig war. Experten gehen aber davon aus, dass Corona hier in einigen Bereichen einen dauerhaft positiven Effekt auf die Hygieneinfrastruktur haben wird.





Implementierung in den Alltag
Der letzte Baustein beschäftigt sich mit der Implementierung. Hier geht es darum die richtigen Maßnahmen auszuwählen und deren Einhaltung sicher zu stellen. Wurden alle vorherigen Bausteine ausreichend bei der Erstellung der Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte berücksichtigt, so kann ein flexibles Maßnahmenpaket bedarfsgerecht implementiert werden. Generell sind die wichtigsten Maßnahmen für ein Hygiene- und Infektionsschutzkonzept die richtige Hände- und Flächenhygiene, Abstand und ausreichendes Lüften. Im Falle der Corona Pandemie kommt noch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, die Isolation Infizierter, die Nutzung der Corona-Warn-App und eine entsprechende Teststrategie hinzu. Ein sehr essenzieller Faktor für diesen Baustein ist die Schaffung von Routinen. Dies bedeutet, dass Maßnahmen der Basishygiene, wie z. B. die richtige Händehygiene (Wie? Wann? Womit?), in die täglichen Gewohnheiten übergehen. Es geht also nicht nur um die Vermittlung von Wissen und die Bereitstellung von Infrastruktur, sondern auch um clevere Konzepte, um dauerhaft die Einhaltung der Maßnahmen sicher zu stellen. Die WHO geht davon aus, dass die Schaffung von Routinen und die damit verbundenen Systemänderungen Jahre dauern können. Ähnliches beobachten wir seit Jahren bei unseren eigenen Studien im Gesundheitswesen, aber auch in anderen Branchen.

 

Fazit und Handlungsempfehlungen

Zum Abschluss dieses Fachartikels möchten wir die aktuelle Situation, auf Basis der Erkenntnisse dieses Fachbeitrags, einer kritischen Betrachtung und Bewertung unterziehen und einige „Learnings“ ableiten. In Deutschland hat man mit Beginn der Corona Pandemie frühzeitig angefangen Hygiene- bzw. Infektionsschutzkonzepte zu implementieren. Unter anderem durch die Corona-Bilder aus China oder Italien wurde schnell eine Notwendigkeit zum Handeln erkannt und die Sensibilisierung der Bevölkerung sowie die Akzeptanz der Schutzmaßnahmen war direkt enorm hoch. Dadurch, dass die Maßnahmen sehr strikt durchgeführt wurden, konnte die Verbreitung des Virus schnell verlangsamt werden. Allerdings wurde die Zeit zwischen der ersten Maßnahmenimplementierung und den Lockerungen nicht optimal genutzt. Hier hätte man wesentlich intensiver an der Wissensvermittlung bzw. Aufklärung und der Etablierung von Routinen arbeiten müssen. Auch wäre ein einheitliches Vorgehen bei der Entwicklung von Hygienekonzepten und eine deutliche Vereinfachung der Verordnungen und deren Kommunikation hilfreich gewesen. Geht man davon aus, dass, wie beschrieben, Hygiene als Evolutionskonzept funktioniert und einen dauerhaften Nutzen bringen kann, so wurden definitiv Chancen vertan. Betrachtet man exemplarisch einmal die medial prominentesten Krankheitsausbrüche der letzten 20 Jahre, so wird schnell deutlich, dass SARS-CoV-2 nicht das letzte Virus sein wird, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Die aktuelle Corona Pandemie und die anfänglich außerordentlich hohe Sensibilisierung der Bevölkerung hätte dazu genutzt werden können, nachhaltiges Wissen aufzubauen und geeignete Strukturen flächendeckend zu implementieren. Auch der Stellenwert von Infektionsschutz und Hygiene hätte deutlich erhöht werden können. In vielen Bereichen wird Hygiene nach wie vor überwiegend als Kostenfaktor gesehen. Dabei sind alleine die Kosten für krankheitsbedingte Ausfälle zu Grippezeiten bei den Unternehmen enorm.





Hygiene als geschlossenes System

 

Des Weiteren wurde ein zusätzlicher sehr entscheidender Fehler gemacht. Hygiene funktioniert nur als System und sollte auch als dieses verstanden und implementiert werden. In Deutschland hat man genau Gegenteiliges unternommen und sich primär auf Einzelmaßnahmen konzentriert. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Verordnungen der Landesregierungen anschaut, in denen versucht wird bis ins kleinste Detail für jede Situation eine Lösung zu beschreiben. Was aus politischer Denkweise sicherlich verständlich und nachvollziehbar ist, widerspricht allerdings der grundlegenden Funktionsweise von Hygienesystemen. Diese müssen möglichst einfach gehalten werden und alle Beteiligten mit einbeziehen. Nur so lässt sich dauerhaft eine hohe Compliance sicherstellen.

In Bezug auf eine zweite Infektionswelle ist eine eindeutige Handlungsempfehlung nicht einfach abzuleiten. Nachträglich damit zu beginnen adäquate Aufklärungsmaßnahmen zu implementieren, dürfte schwierig werden, da die Sensibilisierungsquote der Bevölkerung bei weitem nicht mehr so hoch ist wie zu Beginn der Pandemie. Einige Menschen haben mittlerweile auch eher eine ablehnende Haltung zum Thema Hygiene und Infektionsschutz. Deshalb könnte es sinnvoll sein, die Einhaltung der bestehenden Maßnahmen so gut es geht sicherzustellen und an einer langfristigen Strategie zur bundesweiten Optimierung der Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte zu arbeiten, um bei einer nächsten Pandemie besser vorbereitet zu sein.

Um Unternehmen in dieser dynamischen Lage zu helfen, haben wir in unserem praxisnahen Hygieneworkshop die wichtigsten Themen für sie herausgearbeitet.

Der Text wurde geschrieben von Michael Di Figlia

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